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Rezensionen Titel

Megaira über:

Kunstfeindschaft

Kai Hammermeister: Kleine Systematik der Kunstfeindschaft. Zur Geschichte und Theorie der Ästhetik, Darmstadt 2007.

Einleitung

In ihrem Roman „Das siebte Kreuz“ spricht Anna Seghers von der sinnlichen Buntheit der Welt, die ablenkt vom Wesentlichen und, ausgenutzt durch die Propaganda, die das Sinnliche betont, die Massen verführt habe, Hitler gegen ihre Interessen zu wählen und zu unterstützen. Da zu dieser Propaganda auch künstlerische Mittel (Filme, Lieder, Massenornamente usw.) gehören, sind Argumente gegen Kunst nicht einfach abwegig, sondern bedürfen der genauen Prüfung. Paradox wird diese Kritik von Anna Seghers, wenn sie in ihrem Roman geäußert wird, der per se ebenfalls Kunst sein will, die nicht ohne Sinnlichkeit wie sprachliche Bilder und Buntheit der Situationen, Handlungsstränge und Charaktere auskommt.

Die Aufgabe, die Kunstfeindschaft in der philosophischen Tradition und ihre Paradoxien zu reflektieren, hat sich das Buch von Kai Hammermeister gewidmet. Ihm geht es nicht um Kunstbanausen, die bloß ihre Vorurteile aufspreizen, sondern um Ernst zu nehmende philosophische und theologische Kunstfeindschaft. Die Frage, ob es Kunst geben solle oder nicht, ist für ihn eine falsche. „Die Grundfrage der kunstfeindlichen Diskursbeiträge zur Kunstphilosophie ist vielmehr die, ob die Kunst ihre eigenen Grenzen bestimmen kann und darf.“ (S. 12)

Er möchte untersuchen, „in welchem Verhältnis Kunst und Autonomie zueinander stehen. „Kunstfeindliche Ästhetik entsteht vielmehr genau dann, wenn Kunst mittels außerästhetischer Diskurse kritisiert und begrenzt wird. Der ästhetischen Kunstfeindschaft geht es somit darum, die Grenzen der Kunst festzulegen, die ihr von anderen, übergeordneten Diskursen gezogen werden.“ (S. 15) Die Systematik seiner Themen und Argumente, die Kunstfeindschaft beinhalten, ist die bürokratische Aufteilung dieser nach den Disziplinen der Philosophie. Er untersucht ontologische, epistemologische, ethische und psychohygienische Kunstfeindschaft.

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Ontologische Kunstfeindschaft

Die ontologische Kunstfeindschaft geht auf Platon zurück. Wenn die Wirklichkeit nur ein Abbild ist, das Primäre aber die Idee als geistiges Urbild, dann kann Kunst, die immer ein mimetisches Moment beinhaltet, nur das Abbild eines Abbildes sein, also die schlechtere Kopie einer immer schon unzureichenden Kopie der Idee. Das mimetische Kunstwerk ist demnach eine überflüssige Verdoppelung des bereits Existierenden, weswegen seine Daseinsberechtigung als bloße Kopie wegfällt, als „nicht-kopierende Mimesis“ (S. 36) aber eine Verzerrung des Originals liefert bis hin zur Karikatur, was nach Platon ein ernsthafter Frevel sei. Dass das Kunstwerk das Existierende verzerrt, kann Platon an den Staturen seiner Zeit demonstrieren. Diese enthalten eine objektive Verzerrung der Gliedmaßen, um beim Betrachter „den Eindruck subjektiver Korrektheit hervorzurufen“ (S. 42). Hier hätte der Autor auf die Kritik der Ideenlehre durch Aristoteles eingehen müssen, um zu fragen, ob die Argumente von Platon stichhaltig sind. Stattdessen sammelt er weitere Argumente aus der Philosophiegeschichte, die ähnlich wie Platon argumentieren. Es werden die ontologischen Argumente gegen die Kunst über Plutarch und das Mittelalter bis zu Lévinas, Hermann Cohen und Günther Anders vorgetragen und Heideggers ontologische „romantische Aufwertung der Kunst“ (S. 63) dagegengesetzt.

Erwähnt sei noch die Kritik von Günther Anders an der „Verwerflichkeit des Bildeinsatzes in den Massenmedien“: „Wir werden der Fähigkeit beraubt, Realität und Schein zu unterscheiden“ (S. 64), sodass wir in einer Scheinwelt leben würden.

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Epistemologische Kunstfeindschaft

Entsprechend seiner Rubrikensystematik, also ohne aus der ontologischen Reflexion die epistemologische entwickelt zu haben, geht er auf die erkenntnistheoretischen Argumente gegen die Kunst ein. Der Haupteinwand von dieser Perspektive gegen die Kunst geht von der „Wahrheitsfähigkeit der Kunst“ aus. Vehement vorgetragen wurde diese These von den Protestanten zu Beginn der Neuzeit. „Auch der deutsche Reformator Andreas Karlstadt schlägt in die gleiche Kerbe und führt 1522 aus, dass Bilder aufgrund ihrer Sichtbarkeit schon die Wahrheit des Christentums, die geistlich ist, verfehlen müssen.“(77) In moderner Gestalt hat Lévinas die Unwahrheitsthese so formulier: „Die Kunst erkennt nicht einen bestimmten Typ von Wirklichkeit, sie hebt sich vielmehr scharf von der Erkenntnis ab. Sie ist das Ereignis der Verdunkelung selbst.“ (S. 79) Die Kunst ist nicht unwahr, weil sie lüge, sondern, „weil ihre Existenz eine Möglichkeit der Abgeschlossenheit vorgaukelt, die erst mit der Erlösung der Welt erreichbar ist.“ (S.80) Diese Wendung ins Theologische bzw. zu theologischen Argumenten bildet einen Schwerpunkt des ganzen Buches von Hammermeister.

Auch in diesem Kapitel werden, abstrahiert von ihren geschichtlichen Zusammenhängen, wieder Argumente von Platon, Tertullian, den Protestanten über Roussseau bis zu Schelling, Heidegger und Adorno angeführt. Geschichte existiert nur als Geistesgeschichte.

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Ethische Kunstfeindschaft

Das Standardargument der ethischen Kunstfeindschaft ist der Vorwurf, dass der Zusammenhang des Einzelnen mit dem „sinnvollen Ganzen“ der Gesellschaft zersetzt würde. Die Kunst zerrütte die Beziehungen der Menschen untereinander und komme dadurch in Konflikt mit Familie, Freundschaft, Kommune und Staat. Dabei geht es um die Anklage der Vulgarität bis zum Vorwurf der Anstiftung zur Kriminalität. „Wahrhaftigkeit, Selbstzucht, Enthaltsamkeit, Fürsorglichkeit, gemeinschaftlicher Gottesdienst, dies sind einige Werte, die die ethische Kunstfeindschaft von der Zersetzungswirkung der Kunst freihalten will.“ (S. 107) So sieht Tolstoi das Gute als Sieg über die Leidenschaften an, die Kunst aber, da sie das Schöne darstelle, das die Grundlage all unser Leidenschaften sei, unterminiere allein durch ihre Existenz dies Gute und die Moral. (S. 108)

Zur ethischen Kunstfeindschaft gehören weiter die Luxuskritik (ein Argument, das einige Studenten um 1968 gegen die Oper vorbrachten, war, sie ermögliche einen kulinarischer Genuss), der Vorwurf der Verweichlichung durch Kunst, die Verhinderung gesellschaftlicher Verbesserungen, der Idolatrievorwurf (S. 119) und der Ideologievorwurf.

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Psychohygienische Kunstfeindschaft

Die psychohygienische Kunstfeindschaft beerbe die „philosophische Sinnenfeindschaft“ (S. 139): „(…) nicht die sinnliche Lust an der Kunst allein ist verwerflich, vielmehr bringt sie eine Reihe von Charaktermodifikationen mit sich, die die ethischen Standards unterminieren. Umkehrung der Werthierarchie, Ablenkung vom eigentlich Wichtigen, falsche statt echter Lust, Stagnation der einzig wünschenswerten seelischen Entwicklung, Eitelkeit, Wehrlosigkeit gegenüber den Leidenschaften, insbesondere gegenüber dem Sexus, schließlich Auflösung aller geordneten Ichfunktionen bis hin zum manifesten Wahnsinn – dies sind die Resultate ungebändigter Kunstrezeption, die die psychohygienische Kunstfeindschaft abzuwehren bemüht ist.“ (S. 141)

Besonders die Ablenkung durch Kunst wird kritisiert. So erscheint Franz Rosenzweig der „Musikliebhaber als eine Art Rauschgiftkonsument“ (158), andere bringen den Musikgenuss „mit dem Wahnsinn in Zusammenhang“ (S. 159). Für Lévinas ist „die Kunst ein Zaubermittel, das zur Besessenheit führt“ (S. 161).

Gegen für den Autor überzogene Argumente der Kunstfeindschaft bringt er hier und da ein Gegenargument vor, erkennt aber andererseits durchaus viele kunstfeindliche Argumente an, insofern sie nicht die Kunst als Ganze verwerfen, sondern ihre Autonomie durch die Gesellschaft einschränken. Die entscheidende Frage aber ist, wo die Grenzen der Kunstautonomie liegen sollen. Hammermeister antwortet auf diese Frage: Da die Kunst eine Macht über die Seele habe, sei „zu einer gewissen Behutsamkeit im Umgang mit ihr zu raten“ (S. 164). Sein Beispiel (S. 13) eines Mordes als Kunsthappening, das nicht akzeptierbar sei, ist eine meta basis eis allo genos, eine Verdrehung von Fiktion und Wirklichkeit, Mimesis und darzustellender Realität.

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Kritik an Hammermeister

Diese wenig aussagende Floskel von der Behutsamkeit vermag die gesellschaftliche Begrenzung der Autonomie der Kunst nicht zu beantworten. An dieser Stelle rächt sich die Abstraktheit der dargestellten Argumente. Er geht zwar historisch vor, aber nur geistesgeschichtlich, ohne auf eine durchdachte Gesellschaftstheorie zu rekurrieren, die Voraussetzung einer historischen Analyse wäre, die auch das soziale und ökonomische Umfeld der jeweiligen Positionen der Kunstfeindschaft einbezieht. Stattdessen wird Philosophie erzählt, aber nicht entwickelt. Die Frage, in welches Bewusstsein die Position der dargestellten Philosophen im Vergleich zu der Position des Autors fällt, bleibt offen. Der Autor hätte die Kunstfeindschaft auf seine Position hin konstruieren müssen, um sie zu begründen. Und – damit diese Konstruktion nicht willkürlich ist – seine Auffassung mit einer durchdachten Gesellschaftstheorie fundieren müssen. Davon ist aber nichts zu erkennen.

Auch müsste der Autonomiebegriff problematisiert werden. Wenn Kunstautonomie heißt, dass die Künstler allein den Regeln ihrer Kunst folgen, dann müsste untersucht werden, wieweit diese Kunstregeln nicht selbst schon Ausdruck der gesellschaftlichen Verhältnisse sind, ja die Kunstautonomie ist selbst eine historisch junge Erscheinung und kann nicht der Antike und dem Mittelalter unterstellt werden. Insofern haben die Argumente gegen die Kunst in diesen Epochen eine andere Bedeutung als Kunstfeindschaft seit der Renaissance oder in der Musik seit Beethoven.

So erweist sich das Buch von Hammermeister als ein Steinbruch von Thesen und Argumenten, eine abstrakte Zusammenfassung von kunstfeindlichen Standpunkten, ohne deren Berechtigung in der Gegenwart auch nur zu versuchen deutlich zu machen. Da, wo der Autor zu einer eigenen Meinung kommt, wird nicht klar, warum er gerade diese Position für richtiger hält als eine andere. Da er nicht zu einer rationalen Darstellung gelangt, bleiben seine Ausführungen und seine eigene Meinung abstrakte, unzusammenhängende Positionen, an deren Stelle mit dem gleichen Recht auch andere stehen könnten. Philosophie wird zur postmodernen Stilübung, zur Darstellung des eigenen Geschmacks. Wenn es berechtigte Argumente gegen bestimmte Erscheinungen der Kunst gibt, dann kann das Werk von Hammermeister diese nicht überzeugend vortragen, sondern nur beschwören.

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Letzte Aktualisierung:  08.09.2008